Lustigerweise war ich dann heute morgen auch schon um sechs wach und konnte nicht mehr schlafen, also habe ich so leise wie möglich (und damit etwa halb so schnell wie sonst) geduscht und meinem Besuch bei der vier-bis-acht-Uhr-morgens-Schicht im Wachturm einen Besuch abgestattet.
Also bin ich (etwa eine Viertelstunde
vor dem Frühstück) zum Restaurant gegangen und habe der doch ganz
freundlichen Kolumbianerin von dem kleinen Einzelgänger erzählt.
Die schaute dann alarmiert, ging nach drinnen, kam wieder heraus und
erklärte mir, dass sie gestern vergessen hatten, jemanden für die
neue Schicht einzuteilen. Mein Besuch und eine andere Freiwillige
konnten also nicht abgelöst werden und nicht zum Frühstück gehen,
weil niemand wusste, dass er oder sie für die Schicht danach
eingeteilt war. Also hat sie mich gebeten, die beiden solange
abzulösen, bis die nächsten ankommen und (hurra! Hurra! Hurra!) die
kleine einzelne Schildkröte aus dem Nest in eine Box zu setzen,
damit sie in Sicherheit ist, bis sie sie in der Dämmerung
freilassen.
Und da lag der kleine Unglückswurm, im
Zentrum des Nests im Loch (Loch im Nest auf dem Foto zu sehen), halb
unter nassem Sand und absolut regungslos. Und ich dachte mir „nein,
nein, nein, bitte nicht“. Also habe ich sie ganz vorsichtig
zwischen die Finger genommen und dann bewegte sie sich! Sie hat mit
ihren putzigen winzigen kleinen Patschflossen gezappelt und als ich
sie in die Kiste gesetzt habe, ist sie auch noch ein bisschen
herumgewackelt. Und heute Abend darf sie dann nach draußen in die
Freiheit.
Die beiden Mädels, die mich ablösen
sollten, haben sich dann zwar eine halbe Stunde Zeit gelassen, aber
das war egal, ich war glücklich und habe das gesamte Frühstück
über gegrinst. Strom haben wir zwar immer noch nicht wieder, aber
das ist egal - ich durfte eine Babyschildkröte retten.
Deshalb hat es mich auch nicht gestört,
dass wir nach dem Frühstück alle abkommandiert wurden, um die
Sturmschäden von letzter Nacht zu beseitigen. Das hieß hier: Zweige
einsammeln, Laub zusammenharken, Inhalte zerrissener Müllbeutel
zusammensammeln und Wäsche von der Leine, die der Wind wieder in den
Dreck geworfen hatte, nochmal waschen. Und natürlich, sich mit
Dutzenden von Ameisen anlegen, die sich schon auf das ganze Zeug
gestürzt hatten.
Nach dem Mittagessen ging es damit
übrigens weiter; da haben wir dann den Weg vom Haupthaus (wo wir
alle immer essen und die ständigen MitarbeiterInnen wohnen) zum
Brutzentrum (also eigentlich ab der Straße) noch sauber geharkt. Und
das Brutzentrum selbst.
Abends um fünf sollte die kleine
Schildkröte freigelassen werden, dazu noch vier andere, die aus
einem Nest ausgegraben worden waren, deren Großteil schon geschlüpft
war (die vier waren nur zu schwach, um aus eigener Kraft nach oben zu
klettern). Also saßen wir am Brutzentrum herum und warteten. Und
warteten. Und warteten.
Keine Spur von den MitarbeiterInnen.
Also sind wir (durch mittlerweile
wieder strömenden Regen) zurück zum Haupthaus, wo sie uns
erklärten, dass sie dachten, wir hätten sie einfach selbst
freigelassen.
Umgehend sind wir umgedreht (durch
strömenden Regen, der mittlerweile unseren frisch geharkten Weg in
eine Pfützengrube verwandelt hatte) und haben die Kleinen noch zum
Meer gebracht, wo sie schon alle am Rand ihrer Trageschüssel
gelegen und mit den Flösschen gewackelt haben, weil sie endlich ins
Meer wollten. Als sie dann auf dem Boden saßen (ich durfte mein
kleines Sorgenkind selbst auf den Weg setzen), waren sie auch
ruckzuck ins Meer gewatschelt, so schnell, dass man sie bei der
Dunkelheit und dem Regen gar nicht mehr sehen konnte. Wir haben echt
Glück.
Danach war übrigens auch endlich der
Strom wieder eingeschaltet.
Okay, ich weiß, ich rede seit Tagen
nur über Schildkröten und ihr könnt es vielleicht nicht mehr
hören, aber der nächste Teil ist der spannendste bisher (und auch
vermutlich nicht zu toppen), deshalb: wenn ihr bis hierher gekommen
seid, muss das Folgende auch noch gelesen werden (es ist auch der
vorletzte Tag im Schildkrötenzentrum).
Wir waren abends wieder für die
Nachtpatrouille eingeteilt und zwar ab 21 Uhr. Zwischendurch haben
wir noch eine halbe Stunde Schlaf bekommen, waren dann zehn vor neun
am Treffpunkt, als es hieß: doch nicht, Gewitter. Kommt in einer
halben Stunde wieder. Also nochmal für fünfzehn Minuten hingelegt,
wieder hingegangen, dasselbe.
Als wir dann um zehn zum dritten Mal
dort waren, war ich so müde und erledigt, dass, wenn wir nochmal
angewiesen worden wären, in einer halben Stunde zurückzukommen, ich
gesagt hätte, ich komme nicht mit. Nachtpatrouille ist schon okay,
aber nur wenn man entweder vorher oder nachher genug Schlaf bekommt.
Aber um zehn gingen wir dann los. Nach
zehn Metern fanden wir zwei Jungs aus dem Brutzentrum, die gerade 86
Babyschildkröten ins Meer entließen, was zwar putzig anzusehen war,
aber auch deprimierend ist, wenn man selbst zwei Stunden Marsch über
den Strand vor sich hat.
Bei Patrouillen hofft man immer, dass
man möglichst schnell etwas findet, damit man den Sack mit den
ausgegrabenen Eiern nicht so ewig weit zurück tragen muss.
Wir fanden nichts. Und da wir heute mit
Alejandro unterwegs waren, der heute den ersten Tag hier hatte und
noch nicht so ganz genau bescheid wusste, sind wir einfach immer
weiter gegangen, bis in eine Gegend vom Strand, wo nicht mal mehr
Markierungen an den aufgestellten Pfosten waren. Endlich, um halb
zwölf, sind wir dann stehen geblieben und umgekehrt.
An diesem Punkt hofft man immer, dass
man bitte keine Schildkröte findet, weil man sonst den riesigen,
schweren Eiersack die ganzen vier Kilometer über den Strand
schleppen muss.
Wir gingen etwa zehn Schritte und
sahen, wie sich eine Schildkröte (diesmal eine Lora Schildkröte) vor uns aus dem Wasser hievte. Einen
Moment lang schwankte ich zwischen „Hurra! Eine Schildkröte!“
(soviel Glück haben viele der Freiwilligen, die mehrere Wochen hier
sind, nicht, und für uns war es schon die zweite!) und „Oh nein,
das dauer doch jetzt ewig“, aber dann haben wir uns doch gefreut.
Sie schleppte sich nach oben, fing an,
ihr Loch zu buddeln - und plötzlich kam am Strand ein Mann mit einer
Machete entlang gelaufen (wenn die Einheimischen Schildkröten
finden, die gerade dabei sind, Eier zu legen, warten sie nicht ab,
bis sie sie legen, sondern schneiden sie einfach auf). Alejandro
stellte sich, mit seinem riesigen Stock bewaffnet, vor uns und die
Schildkröte, aber der Mann ging einfach vorbei. Glück gehabt.
Die Schildkröte legte ihre Eier ab und
wir wollten anfangen, ihren Zettel auszufüllen, allerdings hatte
Alejandro das Ganze schon eine Weile nicht mehr gemacht, also haben
mein Besuch und ich (mit dabei war noch eine sehr nette Amerikanerin
namens Lolita, die allerdings noch keine Schildkröte gesehen hatte)
ihm geholfen; ihn daran erinnert, das Desinfektionsmittel zu benutzen
und das Nest zu markieren, damit man es wiederfindet, nachdem die
Schildkröte es zugeschüttet und verborgen hat.
Lolita durfte dann die insgesamt
einundachtzig Eier ausgraben und wir sind zurückgegangen. Dadurch,
dass unsere Patrouille allerdings soviel Verspätung hatte, war die
Flut schon gekommen und wir konnten nicht mehr auf dem harten, festen
Sand am Wasser gehen, sondern mussten auf den weichen Strand am
oberen Sand und wurden trotzdem alle paar Minuten von einer Welle bis
zum Knie durchnässt.
So haben wir für den Rückweg
insgesamt eine und eine Dreiviertel Stunde gebraucht und waren
wirklich am Ende unserer Motivation und müde und zerstochen und
hungrig ohne Aussicht auf Essen vor acht Uhr am nächsten Morgen.
Und dann kamen wir in das Brutzentrum.
In das Brutzentrum, in dem kurz vorher
aus dem Nest, aus dem sich mein eines kleines Frühchen in der
vorherigen Nacht geschleppt hatte, vierundachtzig kleine putzige und
höchst muntere süße Schildkröten geschlüpft waren, die mit den
kleinen Flossen wackelten, um endlich ins Meer zu kommen. Und wir
durften helfen, sie ins Wasser zu setzen! Also haben wir Handschuhe
angezogen, den Bottich an den Strand geschleppt und viele kleine mit
den Flösschen wackelnde Schildkrötenbabys an den Strand gesetzt und
zugesehen, wie sie alle zielstrebig und erstaunlich schnell zum
Wasser gekrochen sind (man muss sie ein paar Meter zum Wasser
krabbeln lassen, damit sie sich später, wenn sie selbst Eier legen,
an diesen Strand erinnern) und dann (alle!) im Ozean untergetaucht
sind.
Ein sehr liebenswürdiger Kanadier hat
uns dann die Aufgabe abgenommen, in das Nest, das mein Besuch schon
gegraben hatte, die Schildkröteneier zu legen, sodass wir dann gegen
halb zwei ins Bett konnten und mit dieser Nachtpatrouille jetzt
endgültig die größten Glückspilze der ganzen Gruppe sind.