Samstag, 1. September 2012

Wo die Schildkröten wohnen Tag 5

Hier mal ein Bild einer der Ameisenstrraßen, die durch die Gärten und über die Straßen verlaufen.

Lustigerweise war ich dann heute morgen auch schon um sechs wach und konnte nicht mehr schlafen, also habe ich so leise wie möglich (und damit etwa halb so schnell wie sonst) geduscht und meinem Besuch bei der vier-bis-acht-Uhr-morgens-Schicht im Wachturm einen Besuch abgestattet.
In der Nacht waren aus einem weiteren Nest zwei Kleine geschlüpft und freigelassen, aber in dem Nest, auf das wir alle seit zwei Tagen warten, hing immer noch nur die eine kleine Schildkröte rum, die wir gestern dabei beobachtet haben, wie sie sich mühsam aus dem Sand hing. Das ist tendentiell gefährlich; wenn die Schildkrötenbabys nämlich zuviel Sonne abbekommen (im Brutzentrum sind sie in einem kleinen Käfig, wenn sie herauskommen, damit die Vögel sie nicht fressen können), überleben sie das nicht.
Also bin ich (etwa eine Viertelstunde vor dem Frühstück) zum Restaurant gegangen und habe der doch ganz freundlichen Kolumbianerin von dem kleinen Einzelgänger erzählt. Die schaute dann alarmiert, ging nach drinnen, kam wieder heraus und erklärte mir, dass sie gestern vergessen hatten, jemanden für die neue Schicht einzuteilen. Mein Besuch und eine andere Freiwillige konnten also nicht abgelöst werden und nicht zum Frühstück gehen, weil niemand wusste, dass er oder sie für die Schicht danach eingeteilt war. Also hat sie mich gebeten, die beiden solange abzulösen, bis die nächsten ankommen und (hurra! Hurra! Hurra!) die kleine einzelne Schildkröte aus dem Nest in eine Box zu setzen, damit sie in Sicherheit ist, bis sie sie in der Dämmerung freilassen.
Also bin ich zurückgegangen, habe die anderen abgelöst, eine Schüssel mit nassem Sand vollgeschaufelt, einen Gummihandschuh angezogen und bin zum Nest gegangen.
Und da lag der kleine Unglückswurm, im Zentrum des Nests im Loch (Loch im Nest auf dem Foto zu sehen), halb unter nassem Sand und absolut regungslos. Und ich dachte mir „nein, nein, nein, bitte nicht“. Also habe ich sie ganz vorsichtig zwischen die Finger genommen und dann bewegte sie sich! Sie hat mit ihren putzigen winzigen kleinen Patschflossen gezappelt und als ich sie in die Kiste gesetzt habe, ist sie auch noch ein bisschen herumgewackelt. Und heute Abend darf sie dann nach draußen in die Freiheit.

Die beiden Mädels, die mich ablösen sollten, haben sich dann zwar eine halbe Stunde Zeit gelassen, aber das war egal, ich war glücklich und habe das gesamte Frühstück über gegrinst. Strom haben wir zwar immer noch nicht wieder, aber das ist egal - ich durfte eine Babyschildkröte retten.

Deshalb hat es mich auch nicht gestört, dass wir nach dem Frühstück alle abkommandiert wurden, um die Sturmschäden von letzter Nacht zu beseitigen. Das hieß hier: Zweige einsammeln, Laub zusammenharken, Inhalte zerrissener Müllbeutel zusammensammeln und Wäsche von der Leine, die der Wind wieder in den Dreck geworfen hatte, nochmal waschen. Und natürlich, sich mit Dutzenden von Ameisen anlegen, die sich schon auf das ganze Zeug gestürzt hatten.
Nach dem Mittagessen ging es damit übrigens weiter; da haben wir dann den Weg vom Haupthaus (wo wir alle immer essen und die ständigen MitarbeiterInnen wohnen) zum Brutzentrum (also eigentlich ab der Straße) noch sauber geharkt. Und das Brutzentrum selbst.

Abends um fünf sollte die kleine Schildkröte freigelassen werden, dazu noch vier andere, die aus einem Nest ausgegraben worden waren, deren Großteil schon geschlüpft war (die vier waren nur zu schwach, um aus eigener Kraft nach oben zu klettern). Also saßen wir am Brutzentrum herum und warteten. Und warteten. Und warteten.
Keine Spur von den MitarbeiterInnen.
Also sind wir (durch mittlerweile wieder strömenden Regen) zurück zum Haupthaus, wo sie uns erklärten, dass sie dachten, wir hätten sie einfach selbst freigelassen.
Umgehend sind wir umgedreht (durch strömenden Regen, der mittlerweile unseren frisch geharkten Weg in eine Pfützengrube verwandelt hatte) und haben die Kleinen noch zum Meer gebracht, wo sie schon alle am Rand ihrer Trageschüssel gelegen und mit den Flösschen gewackelt haben, weil sie endlich ins Meer wollten. Als sie dann auf dem Boden saßen (ich durfte mein kleines Sorgenkind selbst auf den Weg setzen), waren sie auch ruckzuck ins Meer gewatschelt, so schnell, dass man sie bei der Dunkelheit und dem Regen gar nicht mehr sehen konnte. Wir haben echt Glück.

 Danach war übrigens auch endlich der Strom wieder eingeschaltet.

Okay, ich weiß, ich rede seit Tagen nur über Schildkröten und ihr könnt es vielleicht nicht mehr hören, aber der nächste Teil ist der spannendste bisher (und auch vermutlich nicht zu toppen), deshalb: wenn ihr bis hierher gekommen seid, muss das Folgende auch noch gelesen werden (es ist auch der vorletzte Tag im Schildkrötenzentrum).

Wir waren abends wieder für die Nachtpatrouille eingeteilt und zwar ab 21 Uhr. Zwischendurch haben wir noch eine halbe Stunde Schlaf bekommen, waren dann zehn vor neun am Treffpunkt, als es hieß: doch nicht, Gewitter. Kommt in einer halben Stunde wieder. Also nochmal für fünfzehn Minuten hingelegt, wieder hingegangen, dasselbe.
Als wir dann um zehn zum dritten Mal dort waren, war ich so müde und erledigt, dass, wenn wir nochmal angewiesen worden wären, in einer halben Stunde zurückzukommen, ich gesagt hätte, ich komme nicht mit. Nachtpatrouille ist schon okay, aber nur wenn man entweder vorher oder nachher genug Schlaf bekommt.
Aber um zehn gingen wir dann los. Nach zehn Metern fanden wir zwei Jungs aus dem Brutzentrum, die gerade 86 Babyschildkröten ins Meer entließen, was zwar putzig anzusehen war, aber auch deprimierend ist, wenn man selbst zwei Stunden Marsch über den Strand vor sich hat.
Bei Patrouillen hofft man immer, dass man möglichst schnell etwas findet, damit man den Sack mit den ausgegrabenen Eiern nicht so ewig weit zurück tragen muss.
Wir fanden nichts. Und da wir heute mit Alejandro unterwegs waren, der heute den ersten Tag hier hatte und noch nicht so ganz genau bescheid wusste, sind wir einfach immer weiter gegangen, bis in eine Gegend vom Strand, wo nicht mal mehr Markierungen an den aufgestellten Pfosten waren. Endlich, um halb zwölf, sind wir dann stehen geblieben und umgekehrt.
An diesem Punkt hofft man immer, dass man bitte keine Schildkröte findet, weil man sonst den riesigen, schweren Eiersack die ganzen vier Kilometer über den Strand schleppen muss.
Wir gingen etwa zehn Schritte und sahen, wie sich eine Schildkröte (diesmal eine Lora Schildkröte) vor uns aus dem Wasser hievte. Einen Moment lang schwankte ich zwischen „Hurra! Eine Schildkröte!“ (soviel Glück haben viele der Freiwilligen, die mehrere Wochen hier sind, nicht, und für uns war es schon die zweite!) und „Oh nein, das dauer doch jetzt ewig“, aber dann haben wir uns doch gefreut.
Sie schleppte sich nach oben, fing an, ihr Loch zu buddeln - und plötzlich kam am Strand ein Mann mit einer Machete entlang gelaufen (wenn die Einheimischen Schildkröten finden, die gerade dabei sind, Eier zu legen, warten sie nicht ab, bis sie sie legen, sondern schneiden sie einfach auf). Alejandro stellte sich, mit seinem riesigen Stock bewaffnet, vor uns und die Schildkröte, aber der Mann ging einfach vorbei. Glück gehabt.
Die Schildkröte legte ihre Eier ab und wir wollten anfangen, ihren Zettel auszufüllen, allerdings hatte Alejandro das Ganze schon eine Weile nicht mehr gemacht, also haben mein Besuch und ich (mit dabei war noch eine sehr nette Amerikanerin namens Lolita, die allerdings noch keine Schildkröte gesehen hatte) ihm geholfen; ihn daran erinnert, das Desinfektionsmittel zu benutzen und das Nest zu markieren, damit man es wiederfindet, nachdem die Schildkröte es zugeschüttet und verborgen hat.
Lolita durfte dann die insgesamt einundachtzig Eier ausgraben und wir sind zurückgegangen. Dadurch, dass unsere Patrouille allerdings soviel Verspätung hatte, war die Flut schon gekommen und wir konnten nicht mehr auf dem harten, festen Sand am Wasser gehen, sondern mussten auf den weichen Strand am oberen Sand und wurden trotzdem alle paar Minuten von einer Welle bis zum Knie durchnässt.
So haben wir für den Rückweg insgesamt eine und eine Dreiviertel Stunde gebraucht und waren wirklich am Ende unserer Motivation und müde und zerstochen und hungrig ohne Aussicht auf Essen vor acht Uhr am nächsten Morgen.
Und dann kamen wir in das Brutzentrum.
In das Brutzentrum, in dem kurz vorher aus dem Nest, aus dem sich mein eines kleines Frühchen in der vorherigen Nacht geschleppt hatte, vierundachtzig kleine putzige und höchst muntere süße Schildkröten geschlüpft waren, die mit den kleinen Flossen wackelten, um endlich ins Meer zu kommen. Und wir durften helfen, sie ins Wasser zu setzen! Also haben wir Handschuhe angezogen, den Bottich an den Strand geschleppt und viele kleine mit den Flösschen wackelnde Schildkrötenbabys an den Strand gesetzt und zugesehen, wie sie alle zielstrebig und erstaunlich schnell zum Wasser gekrochen sind (man muss sie ein paar Meter zum Wasser krabbeln lassen, damit sie sich später, wenn sie selbst Eier legen, an diesen Strand erinnern) und dann (alle!) im Ozean untergetaucht sind.
Ein sehr liebenswürdiger Kanadier hat uns dann die Aufgabe abgenommen, in das Nest, das mein Besuch schon gegraben hatte, die Schildkröteneier zu legen, sodass wir dann gegen halb zwei ins Bett konnten und mit dieser Nachtpatrouille jetzt endgültig die größten Glückspilze der ganzen Gruppe sind.