Mittwoch, 29. August 2012

Wo die Schildkröten wohnen Tag 2

Heute ging es dann los Richtung Strand. Noch schwer jetlaggeschädigt haben wir uns aus dem Bett gequält und haben unser erstes costaricanisches Frühstück bekommen: Bohnen und Reis. Was fieser klingt als es schmeckt, weil es nämlich eigentlich ein sehr leckerer, gut gewürzter, gebratener Bohnen-Reis-Brei war. Das wird jetzt auch für die nächsten paar Tage unser Frühstück. Und Mittagessen. Und vielleicht auch Abendbrot, das wissen wir noch nicht so genau.
Unterwegs hat uns unser Guide etwas ziemlich Cooles erzählt: Costa Rica hat keine Armee mehr. 1949 stieg der Präsident auf das Dach der Armeekaserne und demontierte höchstpersönlich die Zinnen des Gebäudes mit einem Vorschlaghammer. Der Platz heißt seitdem Platz der Demokratie, Costa Rica hat die Ersparnisse in das soziale System und die Bildung gesteckt und jetzt ist es das wohlhabendste Land von ganz Mittelamerika.
Erster Stopp war ein Rastplatz, wo wir unsere ersten Kostproben einheimischen Essens bekommen haben: haarige Lychees, pflaumenförmige rot-gelb-grüne Früchte, die nach Apfel schmecken, frische Kokosnuss und ganz viele Süßigkeiten aus eingedickter süßer Milch und Kokos, Guavengelee und was sich sonst noch so finden lässt. Das war aber nicht der eigentliche Grund, warum wir dorthin gefahren sind: nachdem wir auf eine Brücke gewandert waren, fanden wir darunter im Schlamm fünfundzwanzig Krokodile (wir haben gezählt), die bis zu dreieinhalb Meter lang waren. Und jedes Mal, wenn sich eins bewegt hat, war es eine echte Attraktion.
 Kurze Zeit später standen wir dann erstmal im Stau. Das costaricanische FBI hatte die Straße vor uns abgesperrt und nichts ging mehr. Also haben wir die Zeit genutzt und unsere Mitreisenden etwas näher kennen gelernt. Und hier das Lustige: außer uns nur Frauen. Alle. Aus Großbritannien, Kanada und den USA, insgesamt sechs außer uns und nur Frauen. Wir fanden es lustig.

Nach langer, langer Fahrt kamen wir dann in unserem kleinen Schildkrötenhilfszentrum an, das ganz paradiesisch an einem riesigen, breiten Strand liegt, bekamen erstmal Mittagessen (Reis und Bohnen) und dann ging es los: Einführung in das Leben hier (kein Alkohol, kein Essen im Zimmer, Mücken überall und Unterkunft nur in Vierbettzimmern) und dann der interessante Teil: die Schildkröten. Man arbeitet hier immer nachts und zwar entweder in Vierstundenschichten im Brutzentrum (wo man alle fünfzehn Minuten die Nester kontrolliert und schlüpfende Schildkröten zum Meer bringt) oder in Strandpatrouillen, wo man nach Nestern sucht und neue Nester ausgräbt und sie im Brutzentrum in Sicherheit bringt).
Wir wurden für die erste Nacht gleich für eine null bis vier Uhr Schicht im Brutzentrum eingeteilt, was dann aber wieder geändert wurde, weil in dieser Nacht Babys schlüpfen sollten und wir noch absolut keine Erfahrung hatten, also wurden wir stattdessen für die Strandpatrouille eingeteilt, was dann wiederum geändert wurde, weil zu unserer eigentlichen Zeit ein großartiges Gewitter über dem Strand niederging.





Wir waren also am „Was um alles in der Welt machen wir eigentlich hier“-Tiefpunkt angelangt, als wir mit einer extrem unfreundlichen Kolumbianerin und unserem Tourguide zusammen auf Strandpatrouille gingen und von ungefähr hundert verschiedenen Aren Blutsaugern angefallen wurden.
Und dann schleppte sich vor uns plötzlich eine riesige schwarze Schildkröte (so eine) den Strand hinauf, kroch mühsam die gesamte Böschung bis zum Waldrand hinauf und fing an, ihr Loch zu graben (Bild rechts). Wir setzten uns so flach wie möglich in den Sand (und schmierten uns dabei von oben bis unten damit voll) und warteten, bis das Loch fertig gegraben war (das ist ziemlich beeindruckend: es war 42 Zentimeter tief und unten etwa dreißig breit und diese Schildkröte hat es mit ihren Flossen in knapp fünfzehn Minuten gegraben). Sobald die Schildkröte anfängt, Eier zu legen, sind wir losgerannt (wenn sie das tut, verfällt sie in Trance, sodass sie Menschen nicht stören; vorher besteht die Gefahr, dass sie zum Meer zurückrennt und ihre Eier nicht ablegt) und dann geht die Hektik los: Loch markieren, Schildkrötenpanzer vermessen, nach einem Markierungsclip an den Flossen suchen, notfalls neu markieren und dann ist die Schildkröte auch schon fertig und fängt an, wie wild das Loch vollzuschaufeln. Und dann fängt sie an, loszuzappeln wie ein Dampfhammer (keine Übertreibung, man glaubt nicht, dass eine Schildkröte soviel Energie aufbringen kann), stampft die Erde auf dem Loch fest, damit niemand es findet und dann krabbelt sie zurück ins Meer.
Wir haben dann das Loch ausgegraben und dann durfte ich vorsichtig, Ei für Ei, insgesamt 97 Schildkröteneier aus dem Loch holen, vorsichtig in eine Tüte stapeln (man muss aufpassen, dass man die Eier nicht dreht) und wir haben etwa drei Kilogramm Schildkröteneier zurück zum Brutzentrum gebracht, um sie dort wieder zu vergraben (und zu verhindern, dass Tiere oder Einheimische sie ausgraben. Schildkröteneier werden hier gerne gegessen, weil sie so gesund sind, oder als Cocktail mit Tomatensaft serviert. Ein Gelege bringt so etwa vierzig Dollar).
Das durfte dann mein Besuch machen: erst ein neues Loch von der gleichen Größe wie das alte buddeln und dann einzeln und vorsichtig, Ei für Ei das gesamte Gelege hineinlegen und es dann wieder zuschütten (mit Zaun drum Bild links). Nebenbei haben wir uns mit der Kolumbianerin unterhalten, die überraschenderweise sehr, sehr nett war – nachdem sie uns nicht mehr für völlig unfähig gehalten hat.
Danach, gegen elf Uhr, war unsere Arbeit beendet, wir waren von oben bis unten voll mit schwarzem Schlamm, aber glücklich wie ein Honigkuchenpferd. Überhaupt eine Schildkröte bei der Eiablage zu finden ist schon unverschämtes Glück, aber das dann noch bei der ersten Patrouille – das geht kaum noch zu toppen.

Wieder im Zimmer stellte sich heraus, dass es sich trotz immer noch extrem schwülwarmer Luft, ohne Klimaanlage und mit kaputtem Ventilator doch ganz gut schlafen lässt, wenn man gerade ein Schildkrötennest umgesetzt hat. Um zwölf und um vier sind dann unsere Zimmergenossinnen raus zu ihren Schichten gegangen, man wird kurz wach, wünscht sich viel Glück (wenn sie zurückkommen, fragt man, ob sie etwas gefunden haben, aber bisher ist nichts geschlüpft) und schläft dann einfach weiter. Und freut sich, dass man hier ist (rechts unser Arbeitsweg zum Schildkrötenbrutzentrum).