Freitag, 18. Mai 2012

Umständlich gesprochen

Heute habe ich eine kleine, etwas umständliche Geschichte, aber ich gebe mir Mühe, mich kurz zu fassen. Da wir unseren Stoff in Statistischer Physik fast geschafft haben, hatten wir ja gestern den Vortrag von der Künstlerin (den ich sehr interessant fand, aber der viele der Physiker im Raum einfach nicht interessiert hat, sodass sie stattdessen ihre Aufgaben gerechnet haben. Ich habe dafür heute morgen der Künstlerin eine Mail geschrieben und sie gefragt, ob sie Reverse Graffiti kennt - das passt ziemlich gut zu ihrer Arbeit).
Heute hatte unser Prof für die letzte Vorlesung (was etwas unglücklich kam, weil er einen Familienvorfall hatte und dringend nach Sidney musste) ein paar Spielereien vorbereitet - beginnend mit einem NASA-Vortrag über die Entstehung von Leben, gefolgt von einer putzigen Magnet-Luftkissen-Staubsauger-Vorrichtung, die Brown'sche Atombewegung simuliert hat und dann kam der Knüller. Ihr erinnert euch noch an die Chemikaliensuppe (Goldilocks Eintopf), die immer wieder die Farbe wechselt, wenn man die richtigen Mengen zusammenschüttet? Das haben wir heute probiert.
Es waren drei Chemikalien, die zusammengeschüttet werden mussten, dann wird es rot und wenn es nicht funktioniert, verfärbt es sich nur orange, und wenn es funktioniert, fängt es dann an, von orange gelb und grün und blau und so weiter zu werden.
Unseres wurde heute nicht mal orange. Und das hat den Prof wirklich deprimiert, weil er uns für unsere letzte Vorlesung noch etwas Spektakuläres präsentieren wollte.
Das hat mir dann - angesichts der Umstände, dass ich ihn heute zum vorletzten Mal gesehen habe (nächste Woche haben wir noch eine Konsultation für Klausurfragen, dann ist er für sieben Wochen unterwegs und dann bin ich weg), so leid getan, dass ich später nochmal bei seinem Büro war und an seine Tür klopfte.
Er - ziemlich gestresst, weil er nachher noch seinen Flug nach Sidney erwischen musste - schaute auf und meinte: "Ich habe gerade nur sehr, sehr wenig Zeit, aber ich habe ein bisschen Zeit. Was gibts denn?"
Ich: "Ich - äh - wollte nur sagen, wie gut mir der Vortrag gestern gefallen hat. Ich hatte mit etwas völligem anderem gerechnet und ich fand das Thema sehr interessant und die Bilder toll und - äh - wollte mich dafür bedanken."
Und da strahlte er und freute sich und meinte, das würde ihn erleichtern "und falls du mit ihr Kontakt aufnehmen möchtest, habe ich hier auch irgendwo ..." sah sich suchend nach der Kontaktadresse von der Künstlerin von gestern um.
Ich: "Ich habe ihr heute morgen schon eine Mail geschrieben."
Da freute er sich so sehr, dass ich mich auch gefreut habe, dass ich ihn noch besucht habe.

Nachmittags war ich auf der Suche nach einem Baklava-Laden, den ich im Internet gefunden hatte, in der Hoffnung, er hätte vielleicht Schokobaklava. Den Laden habe ich gefunden, er hatte allerdings zu, dafür habe ich unterwegs eine neue Graffiti-Wand gefunden:

 Abends war ich mit Ben noch bei einem Vortrag, bei dem ein Ex-Politiker (Parlamentsvorsitzender, Minister für Energie und Ressourcen, Minister für Transport und noch irgendein Ministertitel, ich wiß allerdings nicht mehr ob im Bundesstaat oder für ganz Australien) über seine zehnjährige Tätigkeit als Chef einer internationalen NGO (Nicht-Regierungs-Organisation) gesprochen hat.
Das besondere bei denen ist, dass sie sich nicht (wie Ärzte ohne Grenzen, das Rote Kreuz etc) um die Probleme kümmern, die durch Kriege und Konflikte entstehen, sondern dass sie helfen, diese zu verhindern. Was den Effekt hat, dass - da Medien ja eher über Kriege berichten als über verhinderte Kriege - sie quasi nie mit ihrer Arbeit im Rampenlicht stehen. Was sie tun ist eher, Konflikte zu analysieren, Strategien zu entwickeln, wie man daraus entkommen kann, und die dann weiterzugeben oder auch selbst umzusetzen.
Ein Beispiel: Dem Völkermord an den Tutsi durch die Hutu ging eine Hass-und Verfolgungs-Kampagne in den Radios in Ruanda voraus, die ein ziemlich deutliches Anzeichen für einen Konflikt ist. Als sie diese Anzeichen das nächste Mal in einem anderen Staat bemerkt haben, haben sie sie gesammelt und sind mit diesem Beweispaket vor den Staatschef getreten und haben gesagt: "Wir sehen, was hier vor sich geht. Und wenn Sie Ihre Kampagne weiterverfolgen, werden Sie sich irgendwann vor dem internationalen Gerichtshof für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten müssen."
Und es funktionierte - ein paar Tage später war von der Hetzkampagne nichts mehr zu hören.
Sehr spannendes Thema, aber der Mensch hat gesprochen wie ein echter Politiker: so kompliziert und unkonkret wie nur irgend möglich.